In den Wäldern um Walbrzych existieren sogenannte Biedaszyby – die Stollen der Armen. „15° Ost“ hat sich zwei Stunden von Görlitz entfernt auf die Suche nach den illegalen Steinkohlegräbern begeben und dabei Roman Janiszek kennengelernt, den Steiger mit der Kamera.
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Der Steiger mit der Kamera: Unterwegs mit Roman Janiszek (Fotos: Bernhard Riedmann)


Es ist eine spannende Zeit. Peristroika, Glasnost, Solidarnosc. 1989 fällt die Berliner Mauer. Demokratie, Friede, Wirtschaftsaufschwung, EU-Beitritt 2004. Die offizielle Geschichte Polens ist eine Geschichte der Befreiung, eine Geschichte des Fortschritts, eine Geschichte des Sieges. Doch während sich das Land öffnet, schwindet dem Bergarbeiter Roman Janiszek jegliche Perspektive, während alle vom großen Aufschwung reden, verliert er alles. Seine Arbeit, seine Wohnung, seine Familie, seine Identität. Roman Janiszek erzählt die andere Geschichte dieser Zeit.

Ende der 80er Jahre entscheidet die Stadtverwaltung von Walbrzych (Niederschlesien, Polen), die Steinkohlebergwerke der Region zu schließen. Jahrzehntelang waren sie der Stolz der Nation, die Kohle der Brennstoff des Wohlstands, die stolzen Kumpel Projektionsfläche für sozialistische Arbeiterromantik. Nun sind die Stollen marode, unwirtschaftlich, der Kohle wird kein Potential mehr zugeschrieben.

Polen will billigeren Strom importieren. In Walbrzych stehen 15.000 Menschen plötzlich ohne Job da, die Arbeitslosigkeit steigt zeitweise auf geschätzte 40 Prozent. 1997 stellt das letzte Steinkohlebergwerk der Stadt die Förderung ein, Roman Janiszek beginnt in diesem Jahr, unter Brücken zu schlafen.

Die Stadt mit ihren rund 100.000 Einwohnern verarmt, die angekündigten Investoren bleiben aus. Aus der Not heraus bildet sich in Walbrzych Ende der 90er Jahre eine Schattenwirtschaft. Erst einige hundert, dann Tausende beginnen damit, auf eigene Faust in den Wäldern nach Kohle zu graben. Sie führen die alten Stollen weiter oder treiben mit einfachsten Mitteln metertiefe Löcher in den Waldboden. Ohne Statiker, ohne Probebohrungen, ohne ausreichend Stützholz. Vertraut wird alleine auf die Einschätzungen von ehemaligen Steigern wie Roman Janiszek.

Die Nachfrage nach der illegalen Kohle ist groß, weil sie billiger ist als beim offiziellen Kohlehändler. Die Auftraggeber, oft einfache Leute aus der Umgebung, bestellen per Telefon beim Steiger, geliefert wird direkt per Mini-LKW. Ein Lager gibt es nicht, das ist zu riskant.

Schnell entwickeln sich halbprofessionelle Strukturen: Gegraben wird im Drei-Schicht-Betrieb, die Gebiete nach Zugriffsmöglichkeiten der Polizei eingeteilt: Je näher der Stolleneingang am nächsten Weg liegt, desto gefährlicher ist er. Schließlich will keiner der Arbeiter 5000 Zloty berappen, das Tränengas der Polizei einatmen, die Nacht im Gefängnis verbringen oder – noch schlimmer – die geförderte Kohle dem Ordnungsamt und den Öfen des städtischen Fernheizwerkes überlassen.

Auch heute, sechs Jahre nach dem EU-Beitritt Polens, wird in den Wäldern weiter gegraben. Die offizielle Arbeitslosenquote der Stadt beträgt 19,3 Prozent. Von denjenigen die einen Job haben, arbeiten etwa dreißig Prozent schwarz, schätzt das örtliche Arbeitsamt.

Die Armengräber Walbrzychs erzählen viel über die Region im Dreiländereck. Sie erzählen von Armut, Arbeitslosigkeit, von zu hoch gesteckten Erwartungen, von zerplatzten Träumen. Sie erzählen die Geschichte von den Verlierern der EU-Osterweiterung, von Menschen wie Roman Janiszek.
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