Die 8000-Seelen-Gemeinde Ebersbach liegt am Rande Deutschlands, doch gerät immer wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Die Kleinstadt an der tschechischen Grenze wird täglich von Einbrechern heimgesucht – dabei geht auch der Zusammenhalt verloren.
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„Wer klaut stirbt schneller“, Wut und Misstrauen lassen sich bei einigen Ebersbachern am Gartenzaun ablesen (Fotos: Oliver Reinhardt)

Sachsen hat ein Problem: die Grenzkriminalität. Im Bundesland verschwanden entlang der Außengrenzen vergangenes Jahr 869 Autos, 300 mehr als 2008.

Allein im Städtchen Ebersbach im Landkreis Görlitz zählt die Polizei bis zu 800 Diebstähle und Einbrüche im Jahr. Statistisch trifft es hier jeden zehnten Einwohner. Zum Vergleich: In der Großstadt Dresden wird nur jeder Dreißigste beklaut.

Der Hainberg am Rande von Ebersbach. Hunderte halbmeterhohe Betonpfeiler markieren die Grenze zu Tschechien. Sie sollen Autodiebe an der Flucht über die grüne Grenze hindern. Das erzählt Christian Kretschmar, 80 Jahre. Der pensionierte Chirurg ist Gründer der „Bürgerinitiative Grenzsicherheit“.

Kretschmar, das Haar sorgfältig zurückgekämmt, zieht einen Ordner aus der Aktentasche. Zeitungsartikel mit Schlagzeilen wie: Baumaschinen gestohlen. Buntmetalldiebstähle in Betrieben. Traktorenklau, 17 in diesem Jahr hinzu.

„Gesichter haben sich verändert“
„Wir hatten nach der Wende einen kleinen Polizeiposten und fühlten uns sicher – dann kam Schengen“, sagt Kretschmar. Im Dezember 2007 wurde die Osterweiterung beschlossen, seitdem wurden viele Beamte an den Grenzen abgezogen. Die Menschen in Ebersbach, sagt Kretschmar, seien verunsichert. „Ihre Gesichter haben sich verändert.“

Betonpfeiler auf satter Weide: Die Angst vor Kriminellen trübt die Idylle in der Kleinstadt Ebersbach

Die Geschäftsstraße von Ebersbach ist menschenleer. Kindermalereien in nackten Schaufenstern sollen über den Leerstand hinwegtäuschen.

Ein kleiner Lebensmittelladen, der außen und innen an einen Dorfkonsum der DDR erinnert, führt Konservengemüse und Katzenzungen, aber keine Zigaretten. „Wegen der Tschechei, hat der Chef entschieden,“ sagt der Verkäufer. Zum Kiosk auf tschechischer Seite spaziert man zu Fuß in einer Zigarettenlänge. Die Stange kostet drüben nur die Hälfte, 25 Euro.

Vor dem letzten Haus auf deutscher Seite mäht Rentner Gerd Griesig den Rasen – mit seinem dritten Rasenmäher in fünf Jahren. Beklaut werde er ab und an, ruft er über den Gartenzaun, mit den Tschechen habe er aber keine Probleme. „Unsere Jugendlichen sind doch genauso.“ Die Grenznähe habe auch ihr Gutes, häufiger fahre er zum Tanken rüber oder – wenn Besuch da ist – zum Essen. Nachbarin Beate Vogel ärgert sich über Menschen, die „drüben die ganze Billigpalette nutzen und dann über die Tschechen und Polen schimpfen.“

„Zigeuner stehlen“
Grenzübergang Jiříkov, Tschechische Republik. Tags wie nachts lässt er sich unkontrolliert passieren. In der Bretterbude kapuzentragende Vietnamesen, davor eine Autoschlange, Bundesbürger kaufen Zigaretten.

Unter dem Straßenschild, das den Eintritt in den EU-Mitgliedsstaat ankündigt, macht eine Kolonne Rast. Fünf Roma. Staubsauger, Plastikgeschirr und herausgerissenes Linoleum auf ihren Schubkarren, sind sie auf dem Rückweg nach Jiříkov. Noch zwei Kilometer Schieben und Ziehen.

In der kleinen Nachbarstadt siedelten nach dem Krieg viele Sinti und Roma an. Wenn sie die Straßen Ebersbachs durchstreifen, kommt bei manchem Misstrauen hoch.

Sind die Ebersbacher sicher? Christian Kretschmar, Gründer der Bürgerinitiative Grenzsicherheit, sorgt sich.

„Es stimmt, Zigeuner stehlen“, sagt Beata Wiedemann, eine gemütliche Frau Ende dreißig. Sie ist selbst Roma und trägt klappernde Ohrringe. Aus ihrer Stube an der Ebersbacher Marktstraße dringt sehnsüchtiger Gesang. Fast täglich besucht sie drüben in Jiříkov ihre Familie. Unter den Roma der Gegend kenne sie jeder, sagt sie, weshalb sie ihr Fahrrad nie abschließe. Letztens wurde es dennoch vor ihrem Haus gestohlen. Tags darauf vermeldete ihr Bruder aus Jiříkov: „Dein Rad steht hier.“ Der Dieb, ein kleiner Junge, entschuldigte sich kleinlaut: „Ich dachte, in dem Haus wohnen nur Deutsche.“

Die großen Dinger werden von anderen gedreht. „Selbst wenn Zigeuner von drüben hier eingestiegen sind, die Drahtzieher sind organisierte Banden“, sagt Sven Liebscher, 27, Späne im Haar und Öl an den Fingern. Er führt mit seinem Vater eine Werkstatt nahe des Kreisverkehrs. Fünf Jahre sei nichts passiert, „toi, toi, toi“ hieß es immer. Doch vor wenigen Tagen verschwanden Schweißgeräte und Werkzeuge im Wert von 30.000 Euro. „Irgendwohin ins Nimmerland", sagt Liebscher. Die Polizei war da, fand keine Fingerabdrücke. Profis am Werk, „rumänische Mafia“, vermutet er.

Imageschaden
Um die Ecke wirbt ein Uhrenladen: „Jetzt billig einkaufen, statt einbrechen. 20 Prozent auf Ausstellungsstücke“. Der Einfall kam Inhaber Bernd Stürmer, nachdem Diebe vor einigen Tagen einsteigen wollten. Für die neue Tür muss er 5000 Euro berappen. Er sorgt sich aber auch um das Bild seiner Heimatstadt, das die vielen Negativschlagzeilen verursachen. „Wenn das ein Chefarzt liest, geht der doch eher nach Baden-Württemberg.“

Nach einem Einbruchsversuch reagierte der örtliche Uhrenhändler mit Galgenhumor

Auch die Mitarbeiterinnen des örtlichen Tourismusbüros hadern mit dem schlechten Image der Stadt. Sie wollen ihre Heimat als Urlaubsidyll bewerben – drei Spreequellen, Radtouristik, Bergwandern – und müssen am Telefon besorgte Touristen beschwichtigen, die nach der Zeitungslektüre um ihr Auto fürchten.

Wachsendes Misstrauen
Tourismus ist ein zarter Keim Hoffnung für eine ausblutende Region. Zur Wende lebten knapp 13.000 Menschen in Ebersbach. Dann zogen viele der Arbeit und neuen Chancen hinterher. Heute sind 8.000 übrig, vor allem ältere.

„Ältere Menschen haben ein stärkeres Angstempfinden“, sagt Bürgermeister Bernd Noack. Ein paar Häuser weiter sitzt Daniela Schröder, angestellt, um „Bürger zusammenzubringen – auch über die Grenzen hinweg“. Doch die älteren Ebersbacher weigern sich, bei Ausfahrten und Kaffeetafeln mitzumachen. „Ich habe ihnen sogar vorgeschlagen, sie zu Hause abzuholen.“ Erfolglos. „Dabei ist es sicher hier“, sagt Schröder.

Das sehen die Alten anders. „Kaum einer aus meinem Umfeld traut sich im Dunkeln auf die Straße“, berichtet Kretschmar, der Rentner mit der Aktentasche. Den gemeinsamen Romméabend gibt es nicht mehr.

In Ebersbach ist mehr abhanden gekommen als Autos, Fahrräder oder Rasenmäher.
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