Mitglieder der evangelischen Glaubensgemeinschaft „Herrnhuter Brüdergemeine“ finden sich auf allen Kontinenten. An ihrem Gründungsort weht noch immer ihr Geist.
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Ganz in Weiß erstrahlt der Große Saal der Brüdergemeinde: Schlicht und ohne Prunk (Fotos: Oliver Reinhardt)


Versteckt im Tal, angeschmiegt an den Hutberg, liegt das Dorf Herrnhut im Sonnenlicht. Die Häuser wirken gepflegter als die der Nachbardörfer. Kinder spielen auf der Straße, fast schon eine Seltenheit in der von Abwanderung geprägten Region. Herrnhut – eine Name mit weltweitem Klang. Die evangelische Freikirche der Herrnhuter Brüdergemeine hat weltweit rund 900 000 Anhängern. Von den etwa 1500 Einwohnern des Dorfes bekennt sich rund ein Drittel zu ihr.

Bekannt ist die Freikirche für ihre bunten Weihnachtssterne aus Karton und die in Millionenauflage vertriebenen Losungsbücher: Bibelsprüche für jeden Tag. Gegründet hat sie ein adeliger Menschenfreund.

Vor 288 Jahren siedelte Nikolaus Ludwig Reichsgraf von Zinzendorf, Jurist aus einer einflussreichen Adelsfamilie, Glaubensflüchtlinge aus dem katholischen Mähren auf seinem Land in der Oberlausitz an. Zinzendorf war tief religiös geprägt vom Pietismus und überzeugt, dass nur eine Volkskirche ohne Hierarchien der Lehre des Christentums entspreche. Dem katholischen Deutschen Kaiser Karl VI waren die Umtriebe des frommen Reichsgrafen suspekt. Er verbannte Zinzendorf kurzerhand aus Sachsen, der seinen Missionseifer darauf nach England und Nordamerika verlegte. Ohne den Kontakt zu seinen Herrnhuter Brüdern abreißen zu lassen.

Dicht zusammen liegen die Brüder und Schwestern auf dem Herrnhuter Gottesacker: In der Reihenfolge ihres Todes warten sie hier auf die Auferstehung

Der entscheidende Schlüssel des Erfolges war die „Bekehrung“ seines Freundes Abraham Dürninger. Dürninger, ein wohlhabender Kaufmann aus Südfrankreich, schloss sich Zinzendorf an, gab seine weltliche Karriere auf und übernahm 1747 den Krämerladen der Herrnhuter Gemeinde. Innerhalb weniger Jahre verwandelte er diesen in ein florierendes Wirtschaftsunternehmen. Der kleine Gemeindeladen wurde zu einem der größten Handelshäuser Europas. Tuchwaren, Wein, Tabak und Fisch brachten den Brüdern enormen Reichtum und der ganzen Region Wohlstand.

Die komplette Kontrolle im Dorf
Noch heute ist die Brüdergemeine der größte Arbeitgeber in Herrnhut. Im Kindergarten, einem eigenen Gymnasium, einer Behindertenwerkstatt und in der Verwaltung arbeiten 250 Menschen. „Wir sind nicht reich, aber profitieren natürlich von dem in den Anfangsjahren erworbenen Grundbesitz“ sagt Friedrich Waas, Pfarrer der Herrnhuter Brüdergemeine. Als sich die Herrnhuter vor fünf Jahren auch noch das vor der Schließung bedrohte Gymnasium im Ort einverleibten, „hatten einige Angst, wir würden nun die komplette Kontrolle im Dorf übernehmen“.

Schon zu DDR-Zeiten ließ die Staatsführung die Brüder in der sächsischen Provinz in Ruhe. Im Gegenzug äußerten die sich nicht zu politischen Fragen. So hielt man sich auf Distanz und hält es im Grunde bis heute, getreu nach Matthäus 22: „Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist.“ Eine festen Mitgliedsbeitrag, oder eine Kirchensteuer kennen die Herrnhuter nicht. Dennoch geben viele den in der Bibel erwähnten zehnten Teil.

Reichtum sieht man der Glaubensgemeinschaft nicht an. Der ganz in Weiß gehaltene „Große Saal“ der Gemeinde wirkt schlicht. Quer zum Eingang stehen ebenfalls weiße Bankreihen um einen langen Tisch, der ja nach Bedarf mal als Altar, Notenablage oder Büchertisch dient. Neben dem Gottesdienst am Sonntag, gibt es einen offenen Gebetskreis am Mittwoch und einen Singabend am Freitag. Früher haben sich die Brüder und Schwestern jeden Morgen und Abend versammelt, die Männer rechts in Schwarz, die Frauen links in Weiß. Doch habe „der Wille nach Gemeinschaft sich dem Lauf der Zeit angepasst“, sagt Pfarrer Waas.

Tansanische Glaubensbrüder werden durch die Geschichte ihrer Religion geführt

Nur auf dem „Gottesacker“, dem Friedhof der Gemeinde, wird die Geschlechtertrennung noch beachtet. Die Frauen werden Links des mit gestutzten Bäumen gesäumten Friedhofsweges begraben, die Männer rechts. Immer noch genauso wie vor knapp 300 Jahren, ohne Prunk und Protz. Jeder bekommt eine schlichte, rechteckige Tafel als Grabstein. Gerade mal 30 Zentimeter ist der Zwischenraum zwischen den Gräbern. Auch die Särge sind weiß – es soll den „fröhlichen Glauben“ der Brüder und Schwestern symbolisieren.

Unzerstörbare Harmonie
Dabei ist die Hälfte Mitglieder inzwischen schwarz. Die größte Gemeinde findet sich in Tansania. Fast 500 000 Anhänger hat die Freikirche dort. Ein Ergebnis intensiver Missionsarbeit. So wurden bis zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts die Kinder in Herrnhut im Internat unterrichtet, während die Eltern im Dienste des Herrn durch die Welt reisten.

Regelmäßig besuchen Mitglieder der im Ausland Moravian Church (Mährische Kirche) genannten Kirche, den Ursprungsort Herrnhut. Sie kommen mit Reisebussen, die täglich Herrnhut ansteuern. Bewundern den „großen Saal“, laufen durch die kleine Ausstellung über die Geschichte der Herrnhuter; und der Gottesacker wird besichtigt. Einmal im Jahr, am 17 Juni, feiert die Gemeinde ihren Gründungstag. Ein bisschen singen, ein bisschen Gedenken, ein bisschen Grillen.

An der Stelle, an der vor 288 Jahren der erste Baum gefällt wurde, erinnert Pfarrer Waas an jenen denkwürdigen Tag. Kinder stellen sich am Imbissstand an und holen ihren Vätern ein Bier. Einzig ein Teenager, der mit seinem Skateboard Tricks an der Kirchenmauer übt, passt nicht ganz in das harmonische Bild. In Herrnhut gilt nicht einmal die Statistik: Anders als sonst in Sachsen verzeichnet die Gemeinde mehr Geburten als Todesfälle und Abwanderung.

Nur der diesjährige Abschlussjahrgang des kirchlichen Gymnasiums scheint aus der Rolle zu fallen. Einer von 18 will bleiben und Förster werden, den Rest zieht es weg, in die großen Städte, in die Welt.


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